Strafverfahren in Berlin – Schweigen oder Reden?
Beschuldigte eines Strafverfahrens in Berlin erfahren von dem eingeleiteten Verfahren oft erst durch die Vorladung der Berliner Polizei zum Vernehmungstermin. Manchmal werden die Beschuldigten auch aufgefordert sich schriftlich zu den Vorwürfen (Anhörungsbogen) zu äußern. Der Normalfall ist allerdings die Vorladung.
Update Dezember 2020: In Corona-Zeiten werden fast nur noch Anhörungsbogen an die Beschuldigten geschickt.
Update September 2021: Immer häufiger sehe ich auch wieder Vorladungen als Beschuldigter im Strafverfahren.
Vorladung von der Berliner Polizei – Muss der Beschuldigte erscheinen?
Der Beschuldigte muss der Vorladung nicht nachkommen, muss zum Vernehmungstermin nicht erscheinen. Der Grund dafür ist der, dass der Staat grundsätzlich für jeden Eingriff in die Rechte des Bürgers eine Ermächtigungsgrundlage braucht. Eine solche Ermächtigungsgrundlage, also die Verpflichtung zum Erscheinen zum Vernehmungstermin bei der Polizei gibt es im Gesetz nicht. Anders ist dies wenn der Richter oder der Staatsanwalt, was sehr selten vorkommt, zur Vernehmung lädt. Von daher muss der Beschuldigte nicht erscheinen, er sollte aber den Termin am besten telefonisch absagen.
Wenn der Beschuldigte von der Berliner Polizei einen sogenannten Anhörungsbogen erhält, muss er theoretisch die Pflichtangaben darauf machen. Dies sind Angaben zu seiner Person. Es passiert in der Regel aber nichts, wenn der Fragebogen nicht zurückgeschickt wird. Auf keinen Fall muss und sollte der Beschuldigte Angaben zum Sachverhalt machen. Dies ist problematisch, da er den Akteninhalt der Strafakte nicht kennt und sich dadurch selbst belasten oder Widersprüche aufzeigen könnte.
Reden oder schweigen?
Am Anfang stellt sich immer die wichtige Frage, ob der Beschuldigte zu den Vorwürfen Stellung nehmen soll oder nicht. Die Grundregel ist die, dass es fast immer besser ist, zunächst keine Angaben zum Verfahren bzw. zu den Vorwürfen zu machen. Dies kann bis zur mündlichen Verhandlung noch nachgeholt werden, wenn dies sinnvoll erscheint.
Der Grund dafür ist der, dass letztendlich der Staat/die Berliner Polizei/die Berliner Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten die Vorwürfe nachweisen muss. Wenn der Staat den Vorwurf nicht nachweisen kann, ist das Strafverfahren einzustellen. Im Übrigen besteht ein Informationsdefizit beim Beschuldigten, der ja den Akteninhalt nicht kennt. Von daher ist immer Akteneinsicht vor der Entscheidung, ob man schweigt oder redet zu nehmen.
Akteneinsicht über Rechtsanwalt/Verteidiger?
Die Akteneinsicht wird in der Regel über einen Rechtsanwalt für Strafrecht /Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft Berlin bzw. bei der Amtsanwaltschaft Berlin beantragt. Nur diese darf die Akteneinsicht gewähren (außer das Verfahren ist bei Gericht, dann man dies das Gericht). Die Polizei selbst führt die Ermittlungen nur für die Staatsanwaltschaft und darf die Akteneinsicht selbst nicht gewähren. Im Normalfall ist die Akte direkt bei der Staatsanwaltschaft einzusehen oder wird – bei auswärtigen Kanzleien – dem Anwalt in die Kanzlei übersandt. Der Anwalt kopiert sich dann die Akte und wird dann den Akteninhalt mit dem Mandanten besprechen. Die Akteneinsicht ist immer der erste Schritt des Strafverteidigers sich in die Sache einzuarbeiten. Erst dann kann die Entscheidung getroffen werden, ob man in der Sache sich inhaltlich einlässt oder nicht.
Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin
Die Staatsanwaltschaft Berlin entscheidet dann, nachdem die Polizei die Akte übersandt hat, ob sie das Strafverfahren einstellt, z. B. nach § 170 Abs. 2 StPO, wenn kein Tatverdacht besteht. Auch wegen geringer Schuld kann das Verfahren eingestellt werden oder wenn kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht.
Wenn die Staatsanwaltschaft meint, dass hier eine Verurteilung wahrscheinlich ist, kann diese auch Anklage, meist beim Amtsgericht Tiergarten oder ggf. beim Landgericht Berlin erheben. Alternativ besteht auch die Möglichkeit den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen.
Pflichtverteidiger?
Im Strafverfahren in Berlin und auch anderswo in Deutschland gibt es keine Prozesskostenhilfe für den Beschuldigten. Dies ist wichtig. Dessen Vermögensverhältnisse spielen hier keine Rolle. Prozesskostenhilfe kann ggf. für das Opfer gewährt werden, aber nicht für den Beschuldigten/Täter.
Es gibt im Strafverfahren nur Institut der notwendigen Verteidigung/Pflichtverteidigung, um hier einen Anwalt über den Staat bezahlt und beigeordnet zu bekommen. Dies geschieht aber nicht in allen Fällen, sondern ist eher die Ausnahme und auf schwere Straftaten beschränkt. Für die Pflichtverteidigerbeiordnung ist unter anderem eine Voraussetzung, dass dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird, also eine Straftat, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 1 Jahr bedroht ist. Dies ist z. B. bei einer einfachen Körperverletzung, beim Diebstahl, Betrug oder Fahren ohne Fahrerlaubnis oder einer Unfallflucht nicht der Fall. Hier muss der Beschuldigte immer selbst den eigenen Anwalt zahlen.
Bei einem Freispruch muss der Staat aber ggf. die Kosten übernehmen. Ob ein Freispruch aber letztendlich erfolgreich durchzusetzen ist, ist schwer abschätzbar. Von daher sollte man nicht am Anfang des Verfahrens davon ausgehen, dass der Staat ja schon die Anwaltskosten tragen wird. Gebührenschuldner des Anwalts ist zunächst der eigene Mandant. Dieser hat dann unter Umständen einen Erstattungsanspruch gegen den Staat im Falle des Freispruchs.
Anwalt Andreas Martin - Rechtsanwalt Marzahn